Interview mit Irene Wegener, Leiterin der Flüchtlingswohnheime am Döhrener Turm, vom 05. Mai 2018:
Irene, nach einem heißen Herbst 2015 hat die Willkommenskultur stark nachgelassen. Wie erlebt ihr das im Flüwo?
Das vergangene Jahr 2017 stand unter dem Eindruck der sich wieder ändernden politischen und gesellschaftlichen Stimmung zum Thema Migration und Flüchtlinge. Wir mussten uns immer wieder rechtfertigen für unseren Auftrag und unsere Berufung, Schutzsuchende zu unterstützen und fördern. Aber unserer Überzeugung und Energie hat dies keinen Abbruch getan.
Die Flüwos liegen zwischen den gutbürgerlichen Stadteilen Südstadt und Waldheim. Was sagen die Nachbarn?
Wir haben eine gute Kooperation mit unseren Nachbarn. Für uns, die wir in der Südstadt Tag ein und aus uns bewegen und leben, ist es sehr wichtig, dies Netzwerk zu stärken und gestalten. Durch diese Beziehungen konnten viele Ehrenamtliche gewonnen werden – aus anderen Kirchengemeinden, Vereinen und auch aus dem nahegelegenen Seniorenstift GDA. Sie sorgen für sehr stabile und förderliche Angebote für unsere Bewohne: in der Kleiderkammer, in der Fahrradwerkstatt, bei der Essensausgabe der Tafel, beim Schülerbistro oder bei den Sprachpaten. Ein weiteres ehrenamtliches Angebot hat sich in dem Jahr beständig weiterentwickelt, der Gesprächskreis für Männer mit starken psychischen Belastungen, die Traumagruppe. Einen herzlichen Dank an Michael Borkowski und Maria Mallender.
Was sagt ihr zum Stichwort Familiennachzug?
Unsere Sozialarbeiter hatten in diesem Jahr insbesondere viele Arbeitsaufträge durch Familienzusammenführungen syrischer Familien. In fast jeder dieser Familien gab es eine oftmals mehrjährige Trennung und einen harten Überlebenskampf von Frauen und Kindern in Flüchtlingslagern in Syrien, oder angrenzenden Ländern. Zumeist kam hinzu, dass die Familien zusätzlich belastet sind durch Krankheiten und Behinderungen.
In manchen Flüchtlingswohnheimen gibt es immer wieder Ärger. Kommt sowas auch bei euch vor?
Wir sind dankbar für Frieden in den beiden Häusern und die fortwährende Bereitschaft von haupt- und ehrenamtlich arbeitenden Menschen sich in dieser Arbeit einzusetzen. In diesem Zusammenhang auch mein Dank an die Mitglieder des Leitungskreises, die zum Teil die Arbeit schon über einen sehr langen Zeitraum begleitet.
Wie finden Geflüchtete ihren Platz in unserer Gesellschaft?
Zunächst mal müssen sie eine Wohnung finden, und das ist sehr schwer. Insgesamt hat sich die Problematik der Wohnungslosigkeit verschärft. Mittlerweile haben 50% unserer Bewohner ein mehrjähriges Aufenthaltsrecht und könnten ausziehen. Da sie jedoch keine Wohnungen finden, müssen sie im Heim verbleiben.
Gibt es Unterstützung vom Staat?
Erfreulich hat sich die Förderung für Geflüchtete insgesamt verändert. Es gibt heute eine sehr gute Versorgung mit Sprachkursen und Hilfen zum Einstieg in die Erwerbstätigkeit und Ausbildung. Dadurch hat sich das Leben vieler positiv verändert. Was jedoch weiterhin oftmals fehlt ist der persönliche Kontakt zu Deutschen. Ein besonderes Angebot hat uns auch im Jahr 2017 begleitet: Kurzausflüge, Besichtigungen und Aktionen mit Klaus Kalbau und Martin Reckweg. Auch euch einen herzlichen Dank.
Gelingt die Integration? Hörst du manchmal noch was von Ehemaligen?
Neulich bekam ich einen Anruf von einem ehemaligen Bewohner. Ich hatte lange nichts mehr von ihm gehört und mich manchmal gefragt, was aus diesem wilden Jungen wohl geworden ist. Und was erzählte er mir? „Vielen Dank für die Zeit im Flüwo! Es war so wichtig für mich! Ich bin viele Umwege gegangen, aber jetzt habe ich eine gute Arbeitsstelle und ich freue mich über meine Frau und meine Kinder.“ Gott ist gnädig und kommt zum Ziel.
Das Gespräch führte Ulrike Landt für „Gemeinde aktuell“, das Informationsblatt der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Hannover