„Unser Einsatz in ihr Leben hinein hat Wirkung“

Im Rahmen des Gottesdienstes am 27. September 2020 dankte die Gemeinde am Döhrener Turm der Leiterin der Flüchtlingswohnheime, Irene Wegener, für 25 Jahre engagierter Arbeit. Gemeindeleiter Marco Reuse (re.) würdigte den langjährigen Einsatz der tatkräftigen Sozialarbeiterin. Er dankte auch Pastor i. R. Michael Borkowski (hinten links), der – ebenfalls seit 25 Jahren – ehrenamtlich dem Leitungskreis der Flüchtlingswohnheime vorsteht. Auch Jürgen Bösche (hinten rechts) ist seit vielen Jahrzehnten für die Flüchtlingswohnheime im Einsatz.

Irene Wegener (56), gebürtig aus Bremen, arbeitet seit 25 Jahren im Flüchtlingswohnheim(FlüWo) der EFG am Döhrener Turm. 1995 begann die engagierte Christin als stellvertretende Leiterin, seit 2000 leitet sie das FlüWo. Erst an der Alten Döhrener Straße, ab 2007 den Neubau an der Hildesheimer Straße, der 2012 erweitert wurde (128 Plätze). 2016 kam das FlüWo in der Grazer Straße (100 Plätze) hinzu. Ebenso 2016 wurde Irene Wegener mit der Plakette für Verdienste um die Landeshauptstadt Hannover ausgezeichnet für ihre Flüchtlingsarbeit. Vom Beginn 1993 bis 2018 wurden im FlüWo 2700 Menschen begleitet. Momentan arbeiten 50 Menschen in den beiden FlüWos und einigen Wohnungen mit etwa 250 Flüchtlingen.

Das folgende Interview führte Ulrike Neufeldt für „Gemeinde aktuell“, das Monatsblatt der Gesamtgemeinde Hannover.

Euer FlüWo an der Hildesheimer Straße hat für die Stadt Hannover Vorzeigecharakter. Warum?

Die gute Akzeptanz des FlüWo war Beziehungsarbeit. Das Wohnheim sollte immer ein Ort mit offenen Türen sein, für die Bewohner, aber auch für die Nachbarn. Wir haben Feste veranstaltet und alle dazu eingeladen, haben Schulklassen dort gehabt, haben in das Leben im „Quartier“ investiert. Für mich war es immer wichtig, dass unsere sozialdiakonische Arbeit nicht nur in der Gemeinde stattfindet, sondern in Kooperation mit der Stadt, mit den Politikern, in einem Netzwerk. Wir feiern mit den Nachbarn, mit dem Kleingärtnerverein, dem VfL Eintracht und dem GDA-Wohnstift, Veranstaltungen. Und ich bin Mitglied im Integrationsbeirat. Dadurch sind wir im Stadtteil präsent.

Und mir ist es wichtig, dass Flüchtlinge eine gewisse wohnliche Qualität erwartet, dass sie saubere renovierte Wohnräume haben und eine Zimmertür hinter sich schließen können. Dazu kommt eine gute soziale Betreuung! So finden diese Menschen, die in einer sehr schwierigen Situation leben, einen stabilen äußeren Rahmen, der ihnen Sicherheit gibt. Früher wurden sie eher „verwahrt“, sie sollten möglichst bald wieder gehen. Aber schon mit der Ankunft fängt die Integration der Asylsuchenden an, wir sollten würdigen, dass es ihre Lebenszeit ist, Jahre, die sie in diesem Umfeld verbringen. Sie sollen dort nicht abstumpfen, sondern brauchen die Rückspiegelung „Du bist wertvoll, du bist wichtig, wir unterstützen dich, damit du in dieser Umwelt selbstständig wirst“.

Hast du Beispiele, wie das ankommt?

Vor zwei Jahren bei unserem 25. FlüWo-Jubiläum haben wir von einigen Ehemaligen erfahren, was aus ihnen geworden ist. Eine „Gang“ von Kids, die uns damals in der Kinderarbeit das Leben schwer gemacht hat, ist nun zu gutgeratenen jungen Menschen geworden! Ein Junge aus dem Kongo, der uns früher sehr viel Ärger gemacht hatte, meldete sich und dankte uns, dass wir ihn und seine Kumpels so akzeptiert hatten. Er war nach einigen Umwegen Christ geworden und ist jetzt Pastor! Da staune ich nur: „Was gehst du, Gott, manchmal für Wege?“

Es ist nicht immer so. Aber wenn wir Menschen unterstützen und in ihrer gottgegebenen Ebenbildlichkeit achten, kommt Bewegung in ihr Leben. Wir sehen, unser Einsatz in ihr Leben hinein hat Wirkung!  Wenn Menschen z.B. in Angst vor Abschiebung  zu uns kommen und wir unsere fachlichen Möglichkeiten ausgeschöpft haben, bieten wir an für sie zu beten. Der Kernsatz unserer Arbeit ist „Wir glauben, dass Gott möchte, dass dein Leben gelingt!“

Was ist für dich besonders schwierig in der Arbeit?

Zu hören, was in der Welt los ist, wenn z.B. eine Frau mir weinend erzählt, dass sie ihren dreijährigen Sohn im Mittelmeer verloren hat und ihr Mann in Griechenland im Lager festsitzt. Was soll man ihr noch sagen? Da nicht aufhören sich berühren zu lassen, ist eine große Herausforderung. Es tut weh sich dem auszusetzen! Wie viel Gewalt Menschen erlebt haben und wie manche – so traumatisiert – abrutschen in Drogenkonsum und Kriminalität. Da erscheint die Arbeit manchmal aussichtslos, aber wir geben die Menschen nicht auf, begleiten sie weiter und schauen, was wir machen können.

Was macht dich froh?

Ich bin sehr froh, dass wir keine ernsthaften Anfeindungen in all diesen Jahren hatten, Gott sei Dank. Und dass unsere Auftraggeber immer wieder sagen „Bitte macht weiter!“

Wo stehen wir in Deutschland fünf Jahre nach „Wir schaffen das“ von Frau Merkel?

Die Aussage ist in der Praxis erlebbar, aber es braucht sicher 12 bis 15 Jahre, bis Menschen hier etabliert sind. Jetzt haben wir einen Zwischenschritt erreicht. Es braucht ganz unterschiedliche Hilfen, damit der Migrationsprozess gelingt, z.B. ehrenamtliche Hausaufgabenhilfe, Wohnraum, Arbeit.

Wie kamst du zur Arbeit mit Flüchtlingen in Hannover?

Ich war nach dem Abitur für ein „Jahr für Gott“ in Brasilien beim Hilfswerk Terra Nova Mondai. Danach wollte auch ich mein Christsein und meine berufliche Tätigkeit verbinden. Ich habe „Soziale Arbeit“ an der FH Hannover studiert. In der Zeit gehörte ich schon zur Gemeinde am Döhrener Turm. Am Ende meines Studiums war die große Flüchtlingswelle wegen des Balkan-Kriegs hier angekommen. Bei der Arbeit in einem privat geführten Flüchtlingswohnheim erlebte ich 1992/93, wie ich es nicht machen würde.

1993 begann meine Gemeinde, ihr neugebautes Flüchtlingswohnheim an der Alten Döhrener Straße zu belegen. Heimleiter war Pastor Uwe Kühne, seine Stellvertreterin Sozialarbeiterin Brigitta Schadwinkel.  Dann wurde Michael Borkowski Pastor und damit Heimleiter, und Brigitta Schadwinkel hörte mit ihrer Arbeit auf. So bewarb ich mich 1995 als stellvertretende Heimleiterin. Daher haben Michael und ich beide vor 25 Jahren im FlüWo angefangen und nun gemeinsam Jubiläum. Wir konnten und können sehr gut miteinander arbeiten. Heute ist er Vorsitzender des Leitungskreises der FlüWos.

Wann war klar, dass diese Arbeit die richtige für dich ist?

Ich suchte eine Tätigkeit, von der ich wusste, dass Gott mich an dieser Stelle haben möchte. Kurz vor dem Bewerbungsgespräch für das FlüWo war der Gedanke da: „Wenn du dahin gehst und dich einfindest in diese Aufgabe, dann werde ich das segnen und mit dir  sein“. Das war Gottes Zusage für mich. Er hat mIch dahinein berufen und hat mir all die Jahre geholfen, diese Aufgabe zu erfüllen. Sicher musste ich es immer wieder neu prüfen „Was ist jetzt dran? Folge ich meinem Herrn noch?“

Und wie entwickelte sich die Arbeit?

IW: Wir hatten Mitte der 90er Jahre 150 Heimbewohner und etwa 20 Mitarbeiter. Dann kamen weniger Flüchtlinge, einige Häuser schlossen. Die Stadt Hannover wollte das Gelände verkaufen, auf dem unser Heim stand. Faszinierend war, dass der gesamte Stadtteil samt Politik sich hinter uns stellte mit dem Wunsch, dass das Flüchtlingsheim im Stadtteil blieb! Daher bot uns die Stadt das Grundstück an der Hildesheimer Straße an. Die Gemeinde sprach uns das Vertrauen aus, nahm Geld auf und baute ein festes Gebäude für die Flüchtlinge auf dem Erbbaupachtgrundstück. 2007 war das Wohnheim fertig und wir zogen um. Weil die Stadt mehr Plätze für Einzelpersonen brauchte (heute 2/3 der Belegung), bauten wir 2012 nochmal 42 Einzelzimmer an.

2014/15 kam die Flüchtlingswelle aus dem Nahen Osten, besonders aus Syrien. Wie hat sich das auf Hannover ausgewirkt?

Es mussten damals viele neue Flüchtlingsheime gebaut werden. Viele regionale Bauträger ließen sich von uns beraten, welche Standards für die Planung wichtig sind. Wir konnten klar Position zeigen, dass Flüchtlinge eine menschenwürdige Unterkunft brauchen. So sind viele Häuser entstanden, die ein ähnliches Konzept wie unseres haben. 2016 wurde mir daraufhin die Stadtplakette für Verdienste um Hannover verliehen – eine coole Aktion. 2016 hat uns die Stadt gebeten, das ehemalige Wichernstift in der Grazer Straße zu übernehmen. Es wurde für 100 Flüchtlinge umgebaut. Ein neues Team wurde gebildet, ehemalige Bewohner konnten wir im Pfortendienst anstellen. Wir kooperieren nicht wie andere Heimbetreiber mit einer Sicherheitsfirma. Außerdem hat die Stadt ein Haus mit 12 Wohnungen in der Nähe angemietet, das auch von unserem Team betreut wird. So haben wir jetzt durchschnittlich 250 Asylbewerber in unserer Betreuung.

Was wünscht du dir?

Dass wir als Gemeinde nicht dicht machen, denn wir sind nicht als Paradiesvögel in Gottes Welt gesetzt, sondern um darin zu leben und Menschen zu helfen, die Hilfe brauchen. Alle Menschen sind Geschöpfe Gottes, in ihrer ganzen Vielfalt. Ich wünsche mir, dass Flüchtlinge durch unsere Arbeit fähig werden, in Deutschland gut anzukommen.  Und dass wir als Team frisch und berührbar bleiben in unserer Arbeit.

Wie geht es euch in Coronazeiten?

Wir mussten ehrenamtlichen Angebote unterbrechen: den Kleiderbasar „Hildchen“, die Fahrradwerkstatt, die „Tafel“-Ausgabe, die Kinderspielgruppe, Ausflüge und persönliche Einzelbetreuung. Wir gucken, wie wir das neu aktivieren können, unter Coronabedingungen ist es leider nicht leicht. Aber es beten viele für uns, das ist gut zu wissen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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